In der Bildungsforschung nimmt „Innovation“ als Thema bislang nur eine randständige Position ein (vgl. hierzu meinen letzten Blog-Beitrag), auch wenn es nicht neu ist und bereits seit den 70er Jahren das Innovieren als Aufgabe von Lehrpersonen wissenschaftlich diskutiert wurde. Daher drängt sich die Frage auf, welche Rolle denn nun die Forschung übernehmen soll, wenn es um Innovationen in der Bildung geht.
Zum Vergleich: In den Natur- und Ingenieurwissenschaften ist die Frage nach dem Innovationsbeitrag der Forschung eher ungewöhnlich, da es „zum Selbstverständnis der Forschenden gehört, den Innovationsprozess durch wissenschaftliche Forschung zu optimieren.“ (Reinmann, 2007, S. 24). In der Bildungsforschung hingegen besteht historisch ein grosses Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Profilbildung und praktischem Mehrwert (vgl. ebenda).
Welche Modelle sind denn grundsätzlich denkbar, um Bildungsinnovationen in die Unterrichtspraxis zu holen?
Modelle zur Implementation von Innovationen: Forschung – Praxis
Burkhardt & Schoenfeld (2003, S. 3-4) unterscheiden grundsätzlich 6 Modelle, wie Bildungsinnovationen in der Praxis entstehen können, indem sie auf die Verbindung von Forschung und Praxis (P <-> R Modelle) eingehen:
1) Eigeninitiative der Praktiker: Lehrpersonen, Trainer informieren sich über Forschungsergebnisse und setzen die gewonnenen Erkenntnisse in ihrer Unterrichtspraxis um. Allein schon aus Zeitgründen scheint es sich um ein nicht weit verbreitetes Vorgehen zu handeln, zumal die Forschungsergebnisse häufig nicht einfach in die Praxis umzusetzen sind: „Translating research into practice is a decidedly nontrivial task“ (Burkhardt & Schoenfeld, 2003, S. 4).
2) „Summary guides“: Professionelle Organisationen bereiten Forschungsergebnisse auf, um sie näher an die Praxis heranzuführen. Aber auch bei diesem Modell bezweifeln Burkhardt & Schoenfeld (2003, S. 4) die Wirksamkeit dieser produktbezogenen Transferangebote.
3) „The policy route:“ Reformen sind im letzten Jahrzehnt in nahezu allen Bereichen und auf allen Ebenen des Bildungssystems gefordert und eingeführt worden. Die permanente Umsetzung vorgegebener Reformen und Standards lässt kaum noch Spielraum und Ressourcen und damit fehlt eine „wesentliche strukturgebundene Bedingung für Innovativität in Bildungsorganisationen“ (Clement, 2003, S. 23). „Auf der einen Seite wachsen die Reformerwartungen, auf der anderen Seite schrumpfen die kulturellen Voraussetzungen, die zur Umsetzung der Reformen erforderlich sind. In der Folge bleiben viele Reformen in der Phase der Programmatik stecken, es fehlt die Kraft zur Umsetzung (Euler, 2003, S. 321).“
4) „General professional development“: Forschungsergebnisse werden im Rahmen der Weiterbildung von Lehrenden in die Anwendung gebracht. Das Innovieren als Aufgabe von Lehrpersonen rückt damit in den Vordergrund. „Weniger die grundlegenden Strukturreformen und die damit verbundenen Hoffnungen auf durchschlagende Erneuerung und flächendeckende Innovation stehen heute im Fokus des Interesses, sondern vielmehr das Handeln der Subjekte, die als Lehrerinnen und Lehrer, BerufsbildungspolikerInnen und AusbilderInnen Ausbildungsrealität prägen. (Lipsmeier & Clement, 2003, S. 8).
5) „The long route“: Forschungsergebnisse können sich über einen längeren Zeitraum hin zu quasi-Standards entwickeln und sich sukzessive als gängige Praxis durchsetzen. Burkhardt und Schoenfeldt (2003, S. 5) weisen allerdings darauf hin, dass es nur sehr wenige erfolgreiche Beispiele für dieses R <-> P Modell gibt.
6) Gestaltungsorientierte Forschung: Design Research ist einer der wenigen Forschungsansätze, welche die Innovationsfunktion von Wissenschaft zum Ziel hat. Für das Design-Based Research Collective (2003, S. 8) ist dieser Ansatz besonders geeignet, die Innovationsleistung zu erhöhen, da Design Research die Zusammenarbeit über disziplinäre Grenzen hinweg fördert und die Zusammenarbeit von Forschern und Praktikern betont.
Design Research als Forschungsansatz verfolgt somit das Ziel, zur Entwicklung von innovativen Praxislösungen beizutragen und gleichzeitig praxisrelevante Theorien zu entwickeln. Mit Design Research sollen innovative Praxislösungen für offene Probleme angestrebt werden, die neuartige Lösungsansätze erforderlich machen und deren Potenziale untersucht werden sollen. Design Research verläuft typischerweise in einem iterativen Forschungs- und Entwicklungsprozess in enger Kooperation von Wissenschaft und Praxis ab. Dabei lassen sich grundsätzlich die drei Kernphasen: Analyse/Exploration, Entwurf/Konstruktion (Entwicklung) und Evaluation/ Reflexion unterscheiden (McKenney & Reeves, 2012, S. 77).
Welches Modell überwiegt derzeit in der Weiterbildungspraxis von Unternehmen? Vermutlich Modell 1, wobei man sich selbstkritisch fragen muss, wie viele Beiträge aus der Forschung tatsächlich in Praktiker-Netzwerken diskutiert werden. Wäre die Praxis für andere Modelle bereit genug? Was sind Voraussetzungen dafür, die Gräben zwischen Forschung und Praxis zu verkleinern? Mich persönlich interessiert vor allem der Design Research Forschungsansatz, um mit dem Modell 6 sich nicht nur auf den Transfer am Ende eines Forschungsprojekts fokussieren zu müssen, sondern Praktiker bereits recht früh am Anfang gestaltungsorientierter Forschungsprojekte als Experten einzubinden. Vielleicht wären Ansätze effizient und effektiv, welche verschiedene Modelle, z.B: 2,4 und 6 geschickt miteinander kombinieren?
Kann dies eine realistische Rolle der Forschung darstellen, mit genügend Mehrwert für die Praxis – und ausreichend für die wissenschaftliche Profilbildung? Viele Fragen sind dabei noch offen. Die nächsten Blog-Beiträge hierzu folgen…
Burkhardt, H. & Schoenfeld, A. H. (2003). Improving Educational Research: Toward a More Useful, More Influential, and Better-Funded Enterprise. Educational Researcher, 32(9), 3‑14.
Clement, U. (2003). Wandel durch Politik? Organisationstheoretische Perspektiven und ihre Konsequenz für die Berufsbildungsforschung. In: Clement, U & A. Lipsmeier (Hrsg.): Berufliche Bildung zwischen Struktur und Innovation (S. 9-28). Zeitschrift für Betriebs- und Wirtschaftspädagogik, Beiheft 17, 9-29.
Design-Based Research Collective. (2003). Design-based research: An emerging paradigm for educational inquiry. Educational Researcher, 32(1), 5–8.
Euler, D. (2003). Reformen erfordern Vertrauen und Kooperation. Über notwendige Fundamente von pädagogischen Innovationen. Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 99, 321‑327.
Lipsmeier, A. & Clement, U. (2003). Einleitung. In: Clement, U & A. Lipsmeier (Hrsg.): Berufliche Bildung zwischen Struktur und Innovation. Zeitschrift für Betriebs- und Wirtschaftspädagogik, Beiheft 17, 7‑8.
McKenney, S. & Reeves, C.T. (2012). Conducting educational design research. New York: Routledge.
Reinmann, G. (2007). Innovationskrise in der Bildungsforschung: Von Interessenkämpfen und ungenutzten Chancen einer Hard-to-do-Science. In G. Reinmann & J. Kahlert (Hrsg.), Der Nut-zen wird vertagt …. Bildungswissenschaften im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Profilbildung und praktischem Mehrwert (S. 198-220). Lengerich: Pabst.
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