Ist “Corporate Digital Learning” mehr als E-Learning mit einem neuen Ettikett? Ja, sagt David Kelly, Executive Director der eLearning Guild. Es geht um eine veränderte Aufgabenstellung für L&D, um veränderte Kundenreisen und Erlebnispunkte, um neue Plattformen und Lern-Ökosysteme sowie um veränderte, agilere Arbeitsweisen und Geschäftsmodelle. Der eLearning Guild Online Summit zum Thema “Digital Learning” führte eine Reihe von spannenden Berichten ausgewiesener Experten zusammen. Hier meine Notizen zu den zentralen Punkten der einzelnen Beiträge…
David Kelly, Executive Director der eLearning Guild, eröffnete den Summit mit seinem Beitrag “What is corporated digital learning?”
Die (e)Learning Professionals und die betriebliche Weiterbildung als Funktion brauchen mehr als ein rebranding, so Kelly zum Einstieg. Es geht darum, die Herangehensweise an die eigenen Aufgaben und das eigene Mandat ganz allgemein an die veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Dazu müssen wir zunächst verstehen, wie sich unsere Lebens- und Arbeitswelt verändert hat.
If you want to understand how technology changes the way we learn, look at how technology changes the way we live.
Kelly zeigte dies anhand des veränderten Vorgehens beim Planen und Buchen von zwei Europareisen auf – 1999 und 2018. 1999 über mehrere Besuche in einem Reisebüro, gedruckte Broschüren und Beratungsgespräche; 2018 völlig selbstorganisiert mit Hilfe verschiedener Apps und Cloud-Services. Das Reisebüro, über das er 1999 seine Europareise organisiert hatte, gibt es übrigens nicht mehr…
Beim Thema “Corporate Digital Learning”, so Kelly, geht es um grundlegende Veränderungen; darum, dass Menschen ihre Problemstellungen zunehmend selbstorgansiert lösen, und wie die betriebliche Weiterbildung als Funktion darauf reagiert.
Die Rede von “Digital Learning” an Stelle von “eLearning” verweist darauf, dass es mehr so sehr um digitale Lerninhalte, online Kurse oder selbstgesteuertes Lernen geht, sondern um vielfältige Formen des (informellen) Lernens, der Vernetzung und des Austauschs, die durch verschiedenste digitale Medien und Technologien unterstützt werden.
Was bedeutet dies für die Praxis:
- Lerninhalte (content) verlieren an Bedeutung;
- der situationale Kontext wird wichtiger;
Lerninhalte müssen zielgenau auf diese Problemsituation ausgerichtet sein (microlearning); zunehmend sind Technologien verfügbar, die es möglich machen, den situationalen Kontext zu beobachten und Inhalte darauf auszurichten (z.B. Sensorik); - Lernen findet zunehmend im Prozess des Arbeitens statt;
Performance Support nimmt einen grösseren Raum ein, zulasten von Lernen entfernt vom Arbeitsplatz;
IT-Abteilungen spielen eine zunehmend grössere Rolle im Hinblick auf Lernen – insbesondere, wenn es um neue Applikationen und Unterstützungssysteme dafür geht; - alle Mitarbeitenden können (und sollten) zu Lernangeboten beitragen;
über soziale Plattformen kann jeder relevante Inhalte beisteuern; damit einher geht der Bedarf nach Kuratoren:
L&D plays a role in monitoring content, sometimes approving content, sometimes polishing content but more often amplifying good content.
- Learning Professionals und L&D-Abteilungen brauchen neue Kompetenzen;
sie müssen die Technik-Welt um sie herum verstehen; sie müssen mit sozialen Lernplattformen ebenso wie mit Curation-Plattformen umgehen; und sie müssen ihr Geschäftsmodell anpassen – weg von der Rolle “Traningsanbieter” hin zur Rolle “Unterstützer einer lernenden Organisation”.
Der zweite Beitrag mit dem Titel “Empowering digital learning through learning experienes” kam von David Perring (Fosway Group, ein in Europa beheimatetes Unternehmen mit Fokus auf HR-Analysen). Mit Blick auf das Thema “digitale Transformation” stellte er drei Ansatzpunkte – auch für L&D – heraus:
- die Weiterentwicklung der eigenen Leistungsprozesse;
- die Weiterentwicklung der Kundenerfahrung (customer experience) und
- die Weiterentwicklung des Geschäftsmodells:
Perring betonte, dass zwar die meisten Unternehmen und Organisationen die Weiterentwicklung der eigenen Leistungsprozesse fokussieren, dass aber ein grösserer Mehrwert durch die Weiterentwicklung der Kundenerfahrung realisiert werden könne. Für Bildungsorganisationen schlug er ein “PLASMA” genanntes Modell zur Weiterentwicklung der Kundenreise und der Erlebnispunkte der Mitarbeitenden / Lernenden vor:
- Planen – Was muss passieren, damit ich dahin komme, wo ich hin will?
- Lernen – Wie kann ich Wissen und Kompetenzen aufbauen?
- Anwenden – Wie kann ich neu erworbenenes Wissen und Kompetenzen nutzen, um meine Leistungsfähigkeit zu steigern?
- Stabilisieren – Wie kann ich diese (neue) Leistungsfähigkeit halten?
- Messen – Wo stehe ich im Hinblick auf (meine) Ziele?
- Analysieren – Was ist jetzt der sinnvollste nächste Schritt?
Die einzelnen Schritte im Entwicklungsprozess (im Sinne von Touchpoints auf der Kundenreise) hat er dann in der Folge weiter erläutert und Stichworte zu Ausgestaltung – auch unter Einsatz von Lerntechnologien – gegeben. Hier eine Übersichtsgrafik dazu:
Jane Hart, Centre for Learning & Performance Technologies, lieferte unter dem Titel “The Top Tools for Digital Learning” den dritten Beitrag des Summits. Sie führte diese Top Tools for Learning ein, indem sie diese nach drei Ebenen (Werkzeuge für das Lernen in Trainings, für das Lernen am Arbeitsplatz, für das Lernen ausserhalb des Arbeitsplatzes) und vier Sektoren (Inhalte, Menschen, Anlässe, Erfahrungen) strukturierte:
Allerdings waren die Top Tools for Learning für sie nur ein Sprungbrett zu ihrem eigentlichen Thema: Wie kann L&D die Mitarbeitenden im Unternehmen dabei unterstützen, zu selbständigen “modern professional learners” zu werden?
In the new world of work – where there is no such thing as a job for life – it is up to everyone to stay employable. That means taking (more) control of their own self-improvement and self-development – not just through training or education – but in many kinds of ways. L&D’s new role is to support and enable this modern approach to lifelong learning – rather than try and manage it all centrally. (Hervorhebung CM)
Hart führte hierzu die folgenden Punkte an und erläuterte diese:
- Relevante Lerninhalte kuratieren (und als qualitätsgesichert ausweisen);
- Beschäftigte (als Lernende) dabei unterstützen, zu Google-Power-Usern zu werden;
- Beschäftigte (als Lernende) dabei unterstützen, kontinuierliches Lernen zur Gewohnheit zu machen;
- Flexibel nutzbare Lernressourcen für bedarfsgesteuertes Lernen erstellen / bereitstellen;
- Beschäftigte (als Lernende) dabei unterstützen, eigene Inhalte zu erstellen (user generated content);
- Vernetzung im Unternehmen / in der Organisation fördern und Beschäftigte (als Lernende) dabei unterstützen, ihr berufsorientiertes Netzwerk weiterzuentwickeln;
- Beschäftigte (als Lernende) dabei unterstützen, ihre tägliche Arbeit zu reflektieren (z.B. die eingesetzten Ressourcen, die gemachten Erfahrungen) und darüber neue Ideen zu entwickeln;
(gemäss dem Diktum von John Dewey: “We do not learn from experience… we learn from reflecting on experience.”) - Beschäftigte (als Lernende) dabei unterstützen, Verantwortung für ihre kontinuierliche professionelle Weiterentwicklung zu übernehmen (und diese z.B. in digitalen Entwicklungsportfolios zu dokumentieren und zu reflektieren).
Das von Jane Hart (indirekt) angesprochene Thema der Lernkultur und Lernkompetenz stand im nachfolgenden Vortrag im Mittelpunkt: Catherine Lombardozzi (Learning 4 Learning Professionals) berichtete zu “Cultivating a Self-Directed Learning Culture in the Digital Age“. Sie verwies dabei zum Einstieg auf Studien von CEB, denen zufolge es für die Beschäftigten häufig schwer ist, Lerninhalte und Lernressourcen zu finden (57%), zu nutzen (55%) und in ihrer Arbeit anzuwenden (54%). Damit tut sich für sie ein Spannungsfeld auf zwischen einerseits der Sicht, dass erwachsene Menschen prinzipiell in der Lage sind, sich und ihre Entwicklung selbst zu steuern
An essential aspect of maturing is developing the ability to take increasing responsibility for our own lives – to become increasingly self-directed (Malcom Knowles)
und der Beobachtung, dass dies in der Praxis häufig nicht wirklich erfolgreich umgesetzt wird.
Ausgehend von folgender Definition für selbstgesteuertes Lernen:
Acts of self-directed learning are those in which learners feel, and exercise, authentic control over the content, form and purpose of their own learning. They are also acts in which the ultimate judgments regarding the significance and meaning of experience lie with learners. (Stephen Brookfield)
ging Lombardozzi dann der Frage nach, was es für selbstgesteuertes Lernen braucht und wie diese Voraussetzungen unterstützt werden können.
Die folgende Abbildung zeigt nicht nur die aus Sicht von Lombardozzi zentralen Voraussetzungen für selbstgesteuertes Lernen, sondern auch eine einfache Mögichkeit, hierzu zu einer ersten Einschätzung zu kommen:
Lombardozzi zeigte dann auf, über welche Ansatzpunkte diese Voraussetzungen für erfolgreiches, selbstgesteuertes Lernen auf Seiten der Mitarbeitenden in Unternehmen und Organisationen unterstützt werden können. Hierzu eine im Web verfügbare offene Quelle:
Am zweiten Tag des Summits standen dann verschiedene Fallstudien auf dem Programm. Den Anfang machte Brandon Carson, Director of Learning, Delta Airlines (zuvor HomeDepot): “Beyond the LMS: Implementing a digital-era learning ecosystem“. Er hat in seinem Vortrag einen sehr langen Anlauf genommen, um zum angekündigten Thema (digitales Lern-Ökosystem) zu kommen. Ein digitales Lern-Ökosystem ist mehr als ein Lern-Management-System und die darin verfügbaren Inhalte. Es umfasst aus Sicht von Carson die folgenden Elemente:
Vor seinem Wechsel zu Delta Airlines hat Carson daran gearbeitet, bei HomeDepot (einer US-amerikanischen Baumarkt-Kette) ein digitales Lernökosystem aufzubauen. Hierzu hat er in seinem Vortrag folgendes Zielbild gezeigt:
Diese Abbildung konkretisiert sein oben gezeigtes, allgemeines Modell etwas und zeigt, dass es bei einem digitalen Lernökosystem um das Zusammenspiel verschiedener Funktionen bzw. Teams, technischer Systeme und Verfahrensweisen (z.B. zur Evaluation) über den gesamten Leistungsprozess von L&D geht. Eine Herausforderung dabei besteht darin, (Lerner-)Aktivitäten über verschiedene beteiligte Teams, Systeme und Plattformen hinweg möglichst bruchlos zu unterstützen und auszuwerten, so dass Transparenz zu Aufwand und Kosten ebenso möglich wird wie eine klare Sicht auf prioritäre Ansatzpunkte für Verbesserungen.
Im Mittelpunkt des Beitrags von Matt Peters, Director, Tech College, Visa University mit dem Titel “Creating an Integrated Organizational Learning Experience” stand eine Live-Führung durch die Learning Experience Platform Pathgather, die bei Visa University im Einsatz ist. Hintergrund für die Einführung einer Learning Experience Plattform bei Visa waren unter anderem folgende Rahmenbedingungen bzw. Zielsetzungen:
- deutlich verkürzte Lebensdauer von Lerninhalten,
- hoher Bedarf nach aktuellen Inhalten,
- die Leitlinie “digital first” (und gegebenenfalls Präsenzlernen als Ergänzung) sowie
- das Fördern von Peer-to-Peer Lernen sowie von Lernaktivitäten, die durch interne Fachexperten unterstützt werden können.
Peters zeigte zunächst, wie Inhalte in einer solchen Learning Experience Plattform strukturiert werden können (z.B. “Aktuelles”, nach Themen oder nach lizensierten (Teil-)Bibliotheken), wie bei einer Suche die Inhalte mit Hinweisen zu den jeweiligen Quellen (Web, Lynda, Coursera, etc.) aufgezeigt werden und wie diese weiter gefiltert werden können (vgl. die folgende Abbildung).
Mitarbeitende bei Visa werden ermutigt, diese Plattform auch zu nutzen, um selbst Inhalte einzustellen und zur Verfügung zu stellen – beispielsweise, indem sie ermutigt werden, sich unternehmensintern als Experten für bestimmte Themen zu positionieren und indem einlösbare Punkte für das Teilen von Inhalten vergeben werden. Die folgenden Abbildungen zeigen zunächst einen Lernpfad zu Kryptographie, den ein interner Mitarbeitender ohne formalen Auftrag kuratiert hat,
und eine Auswertung zu der Nutzung eines anderen Lernpfads zum Thema Storytelling als Führungshandeln:
In der online Diskussion zum Ende des Berichts von Peters kamen unter anderem folgende Punkte zur Sprache:
- Wie kann man als Mitarbeiter des Unternehmens die Sichtbarkeit der selbst erstellten Inhalte fördern?
Z.B. indem man Kollegen motiviert, diese zu kommentieren oder zu liken. - Wird eine gut sichtbare Kennzeichnung von Inhalten vorgenommen, die von L&D oder von Fachstellen eingestellt wurden um diese von Inhalten abzugrenzen, die von anderen Mitarbeitenden eingestellt wurden?
Nein, eher nicht. Aber zum Teil veröffentlichen Fachstellen die von ihnen erstellten Inhalte unter einem offiziell klingenden Benutzerkonto wie z.B. “Finance College”. - Müssen beim Kuratieren und Teilen von Inhalten aus dem WWW durch Mitarbeitende Urheberrechte beachtet werden?
Nein, die Plattform ist kein LMS, die Inhalte liegen nicht “auf” der Plattform bzw. es können keine Inhalte “in” die Plattform eingestellt werden. Es können lediglich Links auf Objekte gesetzt werden, die auf anderen Plattformen bzw. Servern verfügbar sind (z.B. im firmeneigenen Sharepoint oder auf einer externen Webseite). Die Plattform zeigt automatisch Bilder und andere Inhaltselemente der Quellplattform an. - Gibt es Sorgen, dass Mitarbeitenden unangemessene Inhalte einstellen könnten?
Ja, die gibt es, aber es gibt auch Leitlinien zur Nutzung, die Inhalte werden beobachtet und Mitarbeitende werden für ihre Nutzung der Plattform verantwortlich gemacht.
Die letzte Fallstudie kam von Chantelle Nash, Program Manager for Digital Learning & Engagement bei General Electric (GE): “A Case Study in Continual Learning at GE“. Nash berichtete, wie in den letzten beiden Jahren, ausgestattet mit einem Budget von 1 Mio. US$ innerhalb der legendären Corporate University in Crotonville eine neue Bildungsplattform aufgebaut hat.
Hier ihr ABC dazu:
A – Agiles Team
Ein kleines Team mit sieben Personen in verschiedenen Rollen und mit verschiedenen Fachkompetenzen (Produktmanagement, User Experience Design, Learning Design, Community Management, Data Science, Marketing & Media) agile Arbeitsmethoden und 2 Releases jede Woche.
B – Business Model
Verzicht auf den Kauf von Inhalten. Statt dessen Teilen der Einnahmen mit Inhalte-Anbietern. Das heisst, BrilliantYOU ermöglicht externen Partnern den Zugang zu GE-Mitarbeitenden und diese treten dafür einen definierten Teil ihrer Einnahmen an das interne Plattform-Betreiber-Team ab. Nicht alle externen Anbieter waren gleichermassen bereit, sich auf dieses Modell einzulassen, aber das war der Startpunkt für Verhandlungen.
C – Customer Centric (Kundenzentriert)
Fokussierung auf die Entwicklung der Plattform-Inhalte und das Gewinnen von Nutzern:
Inhalte | Nutzerakquise |
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D – Daten und Datenanalyse
Kontinuierliche Beobachtung der Nutzung und Zugriffe über Google Analytics (unique users, pages / session, bounce rate, average session duration, etc.). Analysen zu den Suchanfragen der Nutzer, um besser zu verstehen, wonach sie suchen und ggf. das Angebot / die Darstellung anzupassen. Analyse qualitativer Daten (z.B. “Fan Mail”) und von Kommentaren, Beiträgen in Foren, etc.
E – Nächste Entwicklungsschritte
Verbesserung von Inhalte-Empfehlungen auf Grundlage der Analyse von strukturierten Daten (z.B. Aufrufe von Plattforminhalten) sowie auch unstrukturierten Daten (z.B. Feedbacks zu Entwicklungsdialogen, Kompetenzmodelle, etc.). Die Analyse dieser unstrukturierten Daten soll künftig auch stärker durch digitale Sprachverarbeitung und maschinelles Lernen unterstützt werden.
Links zu Berichten zu früheren Online Summits der eLearningGuild:
Christof Maag says
Der Input von David Kelly insbesondere beinhaltet einige hilfreiche Gedanken, vielen Dank Christoph für das Zusammentragen. Den Grundstock an Kompetenzen erhalten die Dolmetschenden bei uns in formalen Kursen, was aber folgt danach? Ich denke, wir müssen an diesem Konstrukt “performance support” weiterdenken. Was heisst dies für unsere Partner bei den kantonalen Behörden? Was für uns? Welche einfachen gut einsetzbaren Mittel können den Arbeitsalltag der oft etwas allein gelassenen Dolmetschenden erleichtern/unterstützen? Welchen performance support diente einem Befrager (z. B. Polizist)?
Christoph Meier says
Hallo Christof, ja das sind wichtige Fragen… Im Hinblick auf Performance Support stellt sich mir noch die Frage, inwiefern hier schon KI-basierte Werkzeuge für Übersetzungen in Frage kommen und inwiefern Dolmetscher für die Nutzung von / Zusammenarbeit mit solchen Systemen trainiert werden könnten (im Sinne von Augmentation…). VG Christoph