Ein Arbeitsbericht von BCG und Emsi Burning Glass zeigt die veränderten Kompetenzerfordernisse im Arbeitsmarkt auf, skizziert übergreifende Trends und leitet Aufgaben für zentrale Beteiligtengruppen ab: für Führungskräfte, für HR- und Bildungsverantwortliche, aber auch für Beschäftigte.
Die Management-Beratung Boston Consulting Group (BCG) ist eine bekannte Grösse. The Burning Glass Institute, eine Einheit des Spezialisten für die Analyse von Arbeitsmarktdaten Emsi Burning Glass, wohl weniger. Gemeinsam haben diese beiden Partner vor kurzem einen Bericht zu den laufenden Veränderungen im Arbeitsmarkt publiziert: “Shifting Skills, Moving Targets, and Remaking the Workforce” (Mai 2022). Der Bericht bündelt die Ergebnisse der Analyse von Stellenausschreibungen und den daraus ersichtlichen breitflächigen Veränderungen der Kompetenzerfordernisse im Arbeitsmarkt. Ein zentrales Konzept im Bericht ist der “Skill Disruption Index”. Dieser Wert zeigt, wie stark sich die gesuchten Fähigkeiten für verschiedene Beschäftigtengruppen ändern. Die Autor:innen identifizieren vier übergreifende Trends und formulieren Ableitungen für Führungskräfte, für HR-Verantwortliche, für Bildungsverantwortliche und für Beschäftigte bzw. Arbeitssuchende.
Daten & ausgewählte Ergebnisse
Emsi Burning Glass wertet täglich Millionen von Stellenanzeigen in den USA aus und analysiert diese mit KI-unterstützten Analysewerkzeugen. Für den vorliegenden Bericht wurden 15 Millionen Stellenanzeigen zwischen 2016 und 2021 (drittes Quartal) analysiert. Im Zentrum stand die Frage, welche Fähigkeiten in den Anzeigen gesucht sind und wie diese sich im Vergleich zum Vorjahr verändert haben. Insgesamt wurden 680 Berufe auf der Grundlage einer Datenbank mit mehr als 18’000 Skills analysiert.
Der von den Autor:innen entwickelte Skill Disruption Index zeigt, dass unterschiedliche Berufe unterschiedlich stark von Verschiebungen bei den gesuchten Fähigkeiten betroffen sind. Am stärksten sind Dateningenieure betoffen, am wenigsten stark Musiker:innen und Mystery Shopper.
Die Analysen zeigen, dass eben nicht nur Technologie-nahe Berufe von diesen Veränderungen betroffen sind. Vielmehr sind viele in Unternehmen und Organisationen breit vertretene Berufsgruppen betroffen. Und die Autor:innen konstatieren, dass sich diese Veränderungen insgesamt beschleunigt haben:
Der Bericht liefert auch eine Konkretisierung dieser Veränderungsdynamik für eine spezifische Berufsgruppe: die Gruppe der Marketing-Spezialisten. Für die Top 20 der nachgefragten Fertigkeiten dieser Berufsgruppe wird gezeigt, wie sich die Häufigkeit der Erwähnung in Stellenanzeigen über die Jahre 2016-2021 verändert hat.
(Lesehinweis: dunkelgrüne Balken markieren Fertigkeiten, die sich inhaltlich verändert haben; hellgrüne Balken Fertigkeiten, die neu hinzugekommen sind; und rote Balken Fertigkeiten, die im verschwinden begriffen sind (“disappearing”)).
Übergreifende Entwicklungen
Aus den Analysen zu den verschiedenen Jobfamilien ergeben sich für die Autor:innen vier übergreifende Trends:
- Digitale Fertigkeiten werden zunehmen auch bei ‘nicht-digitalen’ Berufsbildern und Jobfamilien nachgefragt.
- Bei ‘digitalen’ Berufsbildern bzw. Jobfamilien werden zunehmend sogenannte ‘soft skills’ nachgefragt.
- Über viele Berufsbilder bzw. Jobfamilien hinweg werden zunehmend Fähigkeiten im Bereich der Analyse von Daten und der Visualisierung von Analyseergebnissen nachgefragt.
- Bei vielen Berufsbildern bzw. Jobfamilien werden mittlerweile Fähigkeiten im Zusammenhang mit Social Media nachgefragt.
Die nachfolgende Abbildung illustriert diese Trends:
In dem Bericht werden darüber hinaus vier Berufsgruppen etwas genauer betrachtet, die alle einen eher hohen Wert für den Disruptionsindex aufweisen: IT, Marketing & PR, HR und Vertrieb. Für diese Berufsgruppen werden spezifische Entwicklungen aufgezeigt und damit verbundene, besonders häufig nachgefragte Fähigkeiten. Die nachfolgende Abbildung zeigt dies beispielhaft für zwei Berufsgruppen: IT-Professionals und HR-Professionals.
Ableitungen
Eine zentrale Herausforderung für alle Beteiligten, so der Bericht, besteht darin, dass die nachgefragten Fähigkeitsprofile sich kontinuierlich (und anscheinend auch beschleunigt) verändern. Die Autor:innen leiten daraus folgende Aufgaben für die nachfolgend genannten Beteiligten ab:
- Top-Management / Führungspersonal
(Weitere) Schärfung der strategischen Ausrichtung des Unternehmens / der Organisation und Ermutigung von substanziellen Veränderungen (an Stelle von zaghaftem Klein-Klein); - HR-Verantwortliche und HR-Teams
(Weiter-)Entwicklung von Strategien für (1) das Gewinnen von neuen Mitarbeitenden, (2) die Personalentwicklung, und (3) die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Linien- oder Funktionsbereichen (HR Business Partner). - Bildungsverantwortliche und Bildungsanbieter
Curricula und Bildungsprozesse müssen schneller als bisher an veränderte Rahmenbedingungen und Anforderungen angepasst werden und der Zugang zu differenzierten und flexibilisierten Bildungsangeboten muss vereinfacht werden. Darüber hinaus benötigen die Beschäftigten bzw. die Arbeitssuchenden aktuelle und aussagekräftige Informationen dazu, wie sich Berufsprofile ändern, welche Kompetenzen bzw. Fertigkeiten wo gesucht werden und welche Bildungsangebote für sie passend sind. - Beschäftigte und Arbeitssuchende
Beschäftigte und Arbeitssuchende sollten akzeptieren, dass sich Aufgabenprofile und Berufsbilder ändern und dass sie sich ein Leben lang weiterbilden müssen. Und sie sollten aktiv sowohl nach Arbeitgebern wie auch nach Entwicklungsangeboten Ausschau halten, die ihnen helfen, beschäftigungsfähig zu bleiben.
Die von den Autor:innen abgeleiteten Schlussfolgerungen sind aus meiner Sicht nicht ganz neu. Was aber aus meiner Sicht faszinierend und beeindruckend ist, sind die neuen Möglichkeiten, die Big Data, KI-unterstützte Analysemöglichkeiten und Visualisierungstechniken bieten.
Die Transparenz im Arbeitsmarkt, die damit möglich wird (gesamtgesellschaftlich ebenso wie unternehmens- bzw. organisationsintern), ist aus meiner Sicht zu begrüssen. Vermutlich braucht es aber besondere Unterstützung für die Betroffenen. Insbesondere für diejenigen, die nicht über die Ressourcen (Selbstdistanz, Reflexionsfähigkeit, etc.) verfügen, um jenseits der ihnen vertrauten Aufgabenprofile denken und damit von dieser Transparenz profitieren zu können. Einfach nur “aussagekräftige Informationen” zu liefern, wird nicht ausreichen, um diese Menschen in die neue Arbeitswelt mitzunehmen. Hier gibt es weitere Aufgaben für Bildungsverantwortliche und Bildungsanbieter.
Sigelman, M., Taska, B., O’Kane, L., Nitschke, J., Strack, R., Baier, J., . . . Kotsis, A. (2022). Shifting skills, moving targets, and remaking the workforce. Boston Consulting Group / The Burning Glass Institute / Emsi Burning Glass.
[…] Anforderungen an Mitarbeitende. Ein Arbeitsbericht von BCG und Emsi Burning Glass bestätigt die beschleunigte Veränderung von Kompetenzerfordernissen auf dem […]