Mit Social E-Reading kann das Literaturstudium vor allem in Blended Learning-Szenarien unterstützt werden. Das Tool Perusall eignet sich für diesen Zweck besonders – ein Erfahrungsbericht.
Auch im Zeitalter von Lernvideos & Co. ist in vielen Bildungskontexten das Literaturstudium noch immer ein wichtiger Baustein in der Gestaltung von Lernangeboten. Dies trifft vermutlich insbesondere für Lehrveranstaltungen im Hochschulstudium zu, in denen ganz im Sinne der Idee des Blended Learnings, Teile der Wissenserarbeitung in das Selbststudium verlagert werden. Dabei bestehen aus meiner Sicht zwei Herausforderungen. Einerseits gehört das Lesen und Bearbeiten von Texten, so zumindest mein Eindruck, nicht immer zu den beliebtesten Lernformen. Entsprechend können Motivationsprobleme auftreten. Andererseits habe ich als Lehrverantwortlicher, abgesehen vom Einsatz formativer Assessments (Quizzes, etc.), bislang kaum Möglichkeiten, das Literaturstudium zu begleiten. Entsprechend ist es schwierig abzuschätzen, ob und wie intensiv sich die Studierenden tatsächlich mit der Literatur auseinandergesetzt haben.
Hellhörig wurde ich daher, als ich im Rahmen einer Weiterbildungsveranstaltung des HDZ das Tool Perusall kennenlernte. Perusall bezeichnet sich selbst als “the only truly social e-reader”. Die Idee eines Social E-Readers gleicht dabei jener des Social Video-Learning, bei dem das Lernen über das gemeinsame Annotieren und Reflektieren von Videos erfolgt.
Mit Perusall ist es möglich, sowohl Texte als auch Videos und Podcasts gemeinsam zu bearbeiten und zu kommentieren (asynchron). Die Texte und Videos können dabei selbst hochgeladen werden. Alternativ kann auch auf eine Perusall-eigene Bibliothek zurückgegriffen werden.
Im Rahmen einer Lehrveranstaltung zur Gestaltung von Coachingsituationen habe ich das Tool im vergangenen Semester selbst getestet. Die Studierenden erhielten von mir zur Vorbereitung auf die dreitägige Blockveranstaltung die Aufgabe, ein kurzes Skript, in dem grundlegende Begriffe und Konzepte zum Thema Coaching beschrieben wurden, via Perusall zu bearbeiten. Um den Arbeitsauftrag etwas verbindlicher zu gestalten, habe ich die Studierenden angehalten, mindestens drei Kommentare zum Skript zu erstellen. Kommentare konnten entweder Fragen zu entsprechenden Textstellen, weiterführende Gedanken oder auch Antworten auf Fragen und Anmerkungen der Kommilitoninnen und Kommilitonen sein.
Die Bedienung des Tools gestaltete sich intuitiv, zumal es in das LMS Canvas der Universität St.Gallen eingebunden ist (eine Einbindung in Moodle ist ebenfalls möglich). Auch die Studierenden meldeten keine Schwierigkeiten im Umgang mit Perusall. Kommentare zum zuvor von mir hochgeladenen Skript können ähnlich wie in Word über das Markieren der entsprechenden Textstellen einfach eingefügt werden.
Perusall bietet darüber hinaus auch einige durchaus interessante Analysefunktionen, die aber in meinem Setting weniger zum Tragen kamen. Neben der Angabe der Ansichtszeiten des Dokuments von jeden Studierenden sowie der tatsächlichen aktiven Lesezeit der Studierenden, zeigt eine Heatmap, wann die Studierenden die geforderten Kommentare erstellten. Nicht ganz überraschend war dabei für mich, dass die meisten Kommentare unmittelbar in der Stunde vor Beginn der Veranstaltung eingetragen wurden.
Unabhängig von den Analysemöglichkeiten hat der Einsatz von Perusall sowohl für mich als Dozierenden als auch für die Studierenden einen Mehrwert gestiftet. Ich war überrascht, dass teils intensive Diskussionen zu einzelnen Textpassagen entstanden sind. Die Studierenden erlebten die Lektürearbeit in dieser Form ebenfalls als bereichernd.
Für mich war der Nutzen besonders darin begründet, dass ich früh auf bei Studierenden strittige Inhalte aufmerksam wurde und in die Lage versetzt wurde, im Laufe der Veranstaltung auf ebendiese besonders einzugehen und zu verweisen. Dieser Effekt liesse sich teilweise sicher auch mit dem Einsatz klassischer formativer Elemente (z.B. in Form von kurzen Quizzes) realisieren, allerdings erlaubt das gemeinsame Kommentieren eines Skripts den Studierenden einen grösseren inhaltlichen Spielraum. So wurden von ihnen teils auch neue Gedankengänge entwickelt, die ich bei Einsatz eines Quizzes sicher nicht beachtet hätte.
Weitere Informationen zu Perusall finden sich unter https://perusall.com/. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die von Perusall referierten Studienergebnisse zur Wirksamkeit der Arbeit mit diesem Tool
Nachtrag 27.01.2021: Ein interessanter Blogartikel zu guter Praxis in der Nutzung von Perusall an der Vanderbilt University in den USA.