Letzte Woche fand der fünfte scil Trend- & Community Day in der Tonhalle St.Gallen statt. Der Tag stand unter dem Motto: «Agiles L&D für die Arbeitswelt 4.0: Digitale Kompetenzen, Ambidextrie, Augmentation. Forschung, Entwicklung und Praxis im Gespräch».
Im Zuge der Bewegung hin zu einer Arbeitswelt 4.0 müssen L&D und die Bildungsverantwortlichen in Unternehmen / Organisationen beweglich sein. Sie müssen Antworten auf neu gestellte Fragen liefern («Welche Kompetenzen brauchen wird heute? Und morgen?»). Sie müssen die technologischen Entwicklungen sowie deren Folgen für die Personalentwicklung verstehen. Und sie müssen liefern: Bewährtes ebenso wie Neues. Dies waren denn auch die zentralen Themen, mit denen wir uns an diesem Tag beschäftigt haben:
- Wie kann Kompetenzmanagement agil und beweglich gestaltet werden?
- Wie kann die geforderte Beidhändigkeit von L&D gelebt werden und welche Kompetenzen erfordert diese?
- Sind Augmentationsstrategien ein geeigneter Orientierungsrahmen für die Personalentwicklung in der Arbeitswelt 4.0?
- Wo stehen Personalentwickler im Hinblick auf ihre eigenen digitalen Kompetenzen?
Nachdem wir zu Beginn die zentralen Konzepte für den Tag (Agilität, Beidhändigkeit / Ambidextrie und Augmentation) eingeführt hatten, ging es in die thematischen Impulse am Vormittag.
Agile Arbeits- und Organisationsformen für L&D
Im ersten fachlichen Beitrag gab Daniela Bäcker (scil) anhand von zwei Fallbeispielen einen Einblick, wie Agilität in der Personalentwicklung durch agile Arbeits- und Organisationsformen erhöht werden kann. Bei CYP in Zürich und bei der schweizerischen Post wurden aus verschiedenen Ansätzen agiler Organisationsformen (wie Holocracy, Reinventing Organizations, Semco, Soziokratie 3.0 u.a.) einzelne Elemente zu einem jeweils eigenen, für die spezifischen Organisationen «passenden» Modell adaptiert. Damit ergeben sich neue Strukturen, neue Formen der Zusammenarbeit und neue Rollen.
Bei beiden Fallbeispielen zeigt sich, dass neue «agile» Kompetenzen der Mitarbeitenden wichtig werden: Die eigene Rolle ändert sich enorm. Für (frühere) Vorgesetzte heisst das z.B. dass sie kein «OKAY» mehr geben, sondern vielmehr Feedback. Eingreifen findet kaum mehr statt, nur wenn doch mal «Sand im Getriebe ist». Für Mitarbeitende werden Selbstmanagement und Selbstführung besonders zentral. Dazu gehört auch eine neue Art der Kommunikation: Zum einen müssen eigene Bedürfnisse transparent und klar geäussert werden (Was brauche ich, um dieses Projekt zu bearbeiten? Wieviel Kapazität habe ich noch? Kann/möchte ich dieses Projekt annehmen?). Zum anderen wird es noch wichtiger, konstruktives Feedback zu geben und selbst aufnehmen zu können.
Für L&D werden damit 3 Dimensionen und die Gestaltung von deren Zusammenspiel wichtig: Als 1. Dimension ist da die neue, agile Arbeitswelt. Doch was bedeutet das für Lernprozesse, wenn die «Lernwelt der Spiegel der Arbeitswelt» (Sauter, 2018) sein sollte? Sollte die Entwicklung agiler Kompetenzen (2. Dimension) dann ebenso selbstorganisiert durch Mitarbeitende stattfinden? Wie kann L&D solche Lernprozesse unterstützen (3. Dimension)? Und übergreifend: Wie kann dabei umgegangen werden mit der Beibehaltung von Bewährtem bei gleichzeitiger Exploration von Neuem?
Augmentation & Strategien für die Personalentwicklung
Im Anschluss folgte ein Impuls zum Thema «Augmentation & Strategien für die Personalentwicklung» gegeben. Startpunkte waren zum einen der Begriff «Augmentation» als das effektive Zusammenspiel von Menschen und «intelligenten» Maschinen und zum anderen die Einsicht des ehemaligen Schachweltmeisters Garry Kasparov, dass hierfür die Gestaltung des Kooperationsprozesses zwischen Mensch und Maschine entscheidend ist. Ausgehend von unseren konzeptionellen Rahmen zum Thema (vgl. die folgende Abbildung)
habe ich den Aspekt der Awareness fokussiert: Wissen wir als Personalentwickler – und wissen die Führungskräfte sowie die Beschäftigten in Unternehmen und Organisationen – was es mit KI und Machine Learning auf sich hat und was da auf uns zukommt? Im Rahmen eines kleinen Quizz-Wettbewerbs auf Basis von Socrative.com haben wir unser Wissen dazu überprüft. Das hat überraschend viel Energie bei den Teilnehmenden freigesetzt…
Und ich habe Beispiele dafür aufgezeigt, was «intelligente» Maschinen in verschiedensten Arbeitskontexten heute bereits leisten können, wie sie immer besser werden (u.a. Machine Learning), was sie nicht gut können und wo unsere Stärken als Menschen liegen (z.B. Fähigkeit zu kritischem Denken, zu Kreativität, zu Empathie oder zu schnellem Wechsel zwischen verschiedenen Aufgaben). Es sind diese Fähigkeiten, die wir stärken und entwickeln müssen.
Personalentwickler: digitale Reife, digitale Kompetenzen und Augmentationsstrategien
Im dritten fachlichen Beitrag am Vormittag hat Sabine Seufert die Ergebnisse einer empirischen Studie vorgestellt, die wir am Institut für Wirtschaftspädagogik in Zusammenarbeit mit der DGFP durchgeführt und gerade fertiggestellt haben. Die Studie fokussiert die digitale Reife, die digitalen Kompetenzen und die Augmentationsstrategien von Personalentwicklern. Beteiligt haben sich 225 Personalentwickler aus Deutschland, der Schweiz und Österreich, mehrheitlich aus Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden. Erfasst wurden die notwendigen Kompetenzen für die digitale Transformation mit folgendem Rahmenmodell:
Die Ergebnisse der Studie sind demnächst auf der scil-aktuell sowie DGFP-Website verfügbar. Hierzu werden wir auch noch separate blogposts erstellen. Dies ist ja ein Thema, an dem wir noch länger arbeiten werden…
Die Handlungsempfehlungen für Personalentwickler, die sich aus diesen Ergebnissen ableiten lassen, wurden dann nach dem Mittagessen im Rahmen von Arbeitsgruppen vertieft – ebenso wie Fragen zur Entwicklung von Kompetenzen für agiles Arbeiten bzw. Lernen und auch die weiteren Herausforderungen für L&D im Hinblick auf Augmentation:
Marktplatz / Mini-Camp
Auch in diesem Jahr hatten wir wieder einen Marktplatz bzw. ein Mini-Camp, zu dem sowohl eingeladene Gäste als auch Teilnehmende selbst Themen eingebracht haben:
- Bernhard Probst (LerNetz AG) berichtete zu den Erfahrungen bei LerNetz mit Soziokratie 3.0 als Ansatz für eine agile (Bildungs-)Organisation;
- Stephanie Schneider (Allianz Deutschland AG) arbeitete mit den Teilnehmenden an ihrer Station zu Herausforderungen bei der Umsetzung von agilen Arbeits- und Organisationsformen für L&D innerhalb von klassischen Strukturen eines Grossunternehmens;
- Aylin Ispaylar (IFPM, UniSG) berichtete zu ihrem Dissertationsvorhaben über Kompetenzanforderungen in ambidextren Arbeitssettings;
- Christian Wymann (Eidgenössisches Personalamt) stellt das dort sehr systematisch entwickelte Modell zu «Kompetenzen 4.0» zur Diskussion;
- Elena Kaplun-Parker (SAP Education) berichtete zu zwei Fallbeispielen für eine Transformation des betrieblichen Lernportfolios;
- Volker Rohr (IWP, UniSG) stellte das Student Innovation Lab vor, eine auf dem Ansatz von reverse mentoring basierende Initiative für das Kompetenzcoaching von Lehrpersonen an der Universität St.Gallen;
- Luca Moser und Stefan Sonderegger (IWP, UniSG) stellten einen MOOC als flexibles Bildungsgefäss im Rahmen der Hochschullehre vor;
- und Rico Wyder (degreed) stellte eine adaptive, KI-basierte Plattform für Wissens- und Lerninhalte vor.
Agiles Mind- & Skillset für neue Entwicklungsformate
Den letzten inhaltlichen Beitrag des Tages lieferte Patrick Veenhoff, Leiter ENT-Academy bei Swisscom: «Agiles Mindset & Skillset für neue Entwicklungsformate», so lautete der Titel seines Vortrags. Der Unternehmensbereich «Enterprise Sales», den Patrick Veenhoff mit seinem Team unterstützt, umfasst ca. 5’000 Mitarbeitende. Wichtige Ziele sind das Etablieren einer positiven Grundhaltung der Beschäftigten («Winning spirit»), die Förderung der Leistungsfähigkeit des Geschäftsbereichs sowie das Verankern von kontinuierlichem Lernen auf Seiten der Mitarbeitenden. Seine Vision für die ENT Academy ist, dass diese die Geschäftsmodelle von airbnb und Netflix auf die interne Weiterbildung überträgt, um so die genannten Ziele zu erreichen. Im Zentrum steht daher ein «Social Learning Marketplace», in den von verschiedenen Seiten Inhalte eingestellt werden können.
Für Aufhorchen und intensive Diskussion im Nachgang sorgte, dass das Team der ENT-Academy (in der Regel) keine Lerninhalte mehr für den Geschäftsbereich erstellt, sondern vielmehr dessen Teams und Beschäftigte in die Lage versetzt, Lernangebote in verschiedenen Formaten selbst zu erstellen: als Foliensatz, als Webmeeting, als Workshop, als Bildschirmaufzeichnung oder als Kurzvideo. Dies führt dazu, dass die Linienbereiche mehr Verantwortung für die Investitionen in Trainings übernehmen: Brauchen wir das wirklich? Und wie können wir den Transfer am Arbeitsplatz sicherstellen?
Als Beleg dafür, dass ein solches Modell funktionieren kann, lieferte Patrick Veenhoff unter anderem die beiden folgenden Auswertungen. Diese zeigen zum einen, dass seit der Umstellung des Geschäftsmodells der ENT-Academy die Anzahl der aktiven Nutzer der Lernplattform zugenommen hat. Und sie zeigen zum anderen, dass die Zufriedenheit mit den von den Mitarbeitenden selbst produzierten Inhalten im Mittel höher ist als mit den vom L&D-Team erstellten Inhalten.
Besonders eindrücklich war – neben diesen Ergebnissen – die Schilderung von Patrick Veenhoff dazu, wie es ihm gelungen ist, sein Team auf dieser Reise in unbekanntes Terrain mitzunehmen und die Veränderungsbereitschaft im Team zu unterstützen. Mehr zu Patrick Veenhoff und seiner Arbeit gibt es auf dieser Seite.
Beim abschliessenden Apéro konnten wir dann zusammen mit unseren Gästen die Herbstsonne, Wein und leckere Antipasti geniessen.
Der nächste scil Trend- & Community Day findet am Freitag, 06.09.2019 wiederum in St.Gallen im Weiterbildungszentrum der HSG statt.
Katja Bett von CLC-Learning in Stuttgart war am Community Day dabei und hat hier ein kurzes Video zu ihren Eindrücken gepostet.
[…] unserem 5. scil Community Day im September konnten wir an einer Nachmittagssession diese 7 Handlungsempfehlungen mit ca. 25 […]