Die Ausgabe 2020-03 (August) der Zeitschrift EDUCAUSEreview widmet sich in verschiedenen Beiträgen dem Thema ‘Digitale Transformation’ im Kontext der Hochschulbildung. Es geht um Strategie, beispielhafte Umsetzungen und Zukunftsentwürfe.
‘Grand Challenges’ und ‘Grand Strategy’
Ausgangspunkt für den Leitartikel zum Heft von Susan Grajek und Christopher Brooks (beide EDUCAUSE) sind vier “Grosse Herausforderungen” für die Hochschulbildung. Wobei aus der Formulierung der Punkte herausgeht, dass hier insbesondere das Hochschulwesen in den USA im Mittelpunkt steht. Die Schlagworte sind Studierenden-Erfolg (Abbrecher-Quoten), finanzielle Gesundheit (rückläufige Einnahmen aus Studiengebühren und Beiträgen der Träger), Reputation und Relevanz (insbesondere die hohe Verschuldung von Studienabgängern) sowie externe Konkurrenz (Globalisierung, neue Typen von Online-Programmen wie bei EdX oder Coursera).
Und aktuell kommt zu diesen Herausforderungen noch die Covid-Pandemie als weitere Herausforderung dazu (z.B. Krisen- und Vorsorgemanagement).
Angesichts dieser Herausforderungen braucht es eine ‘Grand Strategy’, die mehr umfasst als unverbundene Einzelmassnahmen. Ein Strategie, die mit dem Konzept von (Hochschul-)Bildung als Ökosystem arbeitet, längerfristig ausgerichtet ist und die gesetzten Prioritäten für alle explizit und verständlich macht.
Aus Sicht der Autoren ist ‘Digitale Transformation’ ein zentrales Element dieser ‘Grossen Strategie’. Dabei grenzen Sie ‘digital transformation’ von ‘digitization’ und ‘digitalization’ ab. Unter ‘digitization’ verstehen sie die Umwandlung von Informationen von analog nach digital und deren Neuorganisation. Unter ‘digitalization’ die Nutzung digitaler Technologien und Informationen, um einzelne Prozesse wie etwa die Zulassung von Studierenden zu automatisieren oder zu verbessern. Demgegenüber verstehen sie ‘digital transformation’ als umfassende Transformation der gesamten (Bildungs-)Organisation auch im Hinblick auf Kultur und Beschäftigtenstruktur:
EDUCAUSE defines digital transformation as the process of optimizing and transforming the institutional operations, strategic directions, and value proposition through deep and coordinated shifts in culture, workforce, and technology.
Grajek / Brooks, EDUCAUSEreview 2020-03, S. 18
Um die möglichen Nutzendimensionen von digitaler Transformation aufzuzeigen und zu priorisieren, ziehen die Autoren Ergebnisse einer EDUCAUSE-Studie vom Herbst 2019 heran. Die Ergebnisse dieser Befragung zeigen, dass im Hinblick auf digitale Transformation für die Hochschulen aktuell vor allem die folgenden Nutzenaspekte im Vordergrund stehen (vgl. auch die nachfolgende Grafik):
- Verbesserung der Studierenden-Erfahrung (z.B. durch Prozessvereinfachungen);
- Reduktion von Abbrecher-Quoten;
- Verbesserung der Lehre und Studienberatung;
- Verbesserung des Lernerfolgs;
- Begrenzung bzw. Reduktion von Kosten;
- Verbesserung der Reputation von Bildungsinstitutionen.
Digitale Transformation – Beispielhafte Umsetzungen
In einem weiteren Artikel der Ausgabe skizziert Diana Oblinger (die ehemalige Präsidentin von EDUCAUSE) die Potenziale, die fortgeschrittene digitale Lösungen (KI-basierte Smart Machines oder VR-Umgebungen) für die Bewältigung der zentralen Herausforderungen auf Seiten von Hochschulen bieten. Sie verweist unter anderem auf Möglichkeiten für Robotic Process Automation (RPA) im Bereich der Kommunikation mit Studierenden und Alumni (z.B. Schriftverkehr), der Abrechnung von Einzahlungen (Studiengebühren) und auf Potenziale für Predictive Maintenance bei umfangreichen Campus-Infrastrukturen.
KI und “Interface University”
In einem weiteren Beitrag befasst sich David Stanley, Direktor des Humanities-Instituts an der Ohio State University, mit den Folgen der Entwicklung von künstlicher Intelligenz für die Hochschulbildung. Dabei sieht er ein enges Zusammenwirken von menschlicher und künstlicher Intelligenz (Augmentation) als das Szenario, auf das Hochschulbildung ausgerichtet werden muss:
The mission of “Interface University” would be the cultivation of the interface, or relationship, between human and artificial intelligences. Interface University would be based on the idea that machines cannot fully supplant human cognition and that thinking with machines allows students to engage in a level of cognition not possible with the brain alone. Thus, at Interface University, students would learn how to think together with computers.
David Stanley, EDUCAUSEreview 2020-03, S. 45
Stanley liefert einige Thesen dazu, was die Ausbildung an einer “Interface University” beinhalten bzw. wie sie ausgerichtet sein sollte:
- Symbiose von menschlicher und maschineller Intelligenz als Leitbild, mit Computern als “dritter Hirnhemisphäre”;
- Fokussierung auf die Entwicklung von Haltungen und Fähigkeiten, die eher in der rechten Gehirnhälfte verortet werden (u.a. Neugierde, Kreativität, Imaginationsfähigkeit;
- Permanente Interaktion mit Robotern und Algorithmen über das gesamte Curriculum;
- Entwickeln von Verständnis für die Grenzen künstlicher Intelligenz;
- Ethische und moralische Grundlagen KI-unterstützter Entscheidungsfindung;
- Trainieren des Vermittelns und Ausgleichens zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz.
Insgesamt bleibt dieser Zukunftsentwurf noch etwas vage, auch wenn Stanley sich an der ein oder anderen Stelle um Konkretisierung bemüht:
For example, students would develop new architectural forms both from the manipulation of material objects and from suggested algorithms, with the architecture student “mentoring” the algorithm. Students in the digital humanities would use text-mining algorithms to “read” volumes of texts as a way to discern and interpret patterns that would have gone unobserved without the algorithms.
David Stanley, EDUCAUSEreview 2020-03, S. 47