Die eLearning Guild führt seit einiger Zeit in Abständen zweitägige Online-Konferenzen durch. Im letzten Herbst ging es um das Thema “Data & Analytics” (vgl. unseren Post dazu). Vor einer Woche dann um das Thema “Learning from Marketing“. Der nächste Online-Summit ist übrigens auch schon terminiert: am 08.-09. November geht es um das Thema “Learning Personalization“.
Ausgangspunkt für den aktuellen Online-Summit war die These, dass Marketing und L&D ganz ähnliche Zielsetzungen verfolgen: die Aufmerksamkeit von definierten Zielgruppen gewinnen und ein verändertes Verhalten zu bewirken. Auf der einen Seite, dass sich Interessenten für ein bestimmtes Auto entscheiden. Auf der anderen Seite, dass Service-Mitarbeitende Kundenreklamationen in einer bestimmten Weise bearbeiten. Wenn also die Zielsetzungen ähnlich sind, sollten L&D Fachleute etwas von Marketing-Fachleuten lernen können. Dies ist ein Bezugspunkt.
Ein zweiter Bezugspunkt wurde zwar in der Einführung zum Summit nicht explizit angesprochen, schwang aber doch mit: Braucht es für Bildungsprodukte bzw. Bildungsdienstleistungen überhaupt Marketing-Aktivitäten? Nein, sagen die einen. (Weiter-)Bildung ist ein Wert an sich; dafür muss man keine “Werbung” mehr machen. Ja, sagen die anderen (und da zähle ich mich dazu). Auch Weiterbildungsdienstleistungen müssen auf den (betriebsinternen) Markt ausgerichtet und für diesen passend konfiguriert sein.
Um es vorwegzunehmen: Ich fand diesen Online-Summit der eLearning Guild gut – auch wenn manches aus meiner Sicht nicht neu war. Die Bedeutung von Emotionen für den Lernprozess? Unter Bildungsfachleuten schon lange ein Thema (z.B. SeLC 2014). Die Bedeutung von Visualisierungen? Für Didaktiker unter dem Stichwort ‘Wissensstrukturen’ ebenfalls schon lange Thema (z.B. Dubs 1998). Dennoch macht es auch für Bildungsverantwortliche in Unternehmen und Organisationen Sinn, sich mit Konzepten und Praktiken aus dem Marketing vertraut zu machen (vgl. hierzu unser scil academy Modul “Marketing für Learning Professionals“).
Die Fachbeiträge zum Summit waren aus meiner Sicht sehr stark auf den Aspekt “Kommunikation” ausgerichtet. Für ein wirksames Marketing von (Bildungs-)Dienstleistungen ist es aber auch wichtig, andere Elemente des Marketing-Mix (Produktgestaltung, Prozessgestaltung, Personal, Preisgestaltung, Distribution, etc.) als Stellhebel zu nutzen. Als Stellhebel für die Gestaltung von zentralen Erlebnispunkten (customer touch points) im Verlauf der Kundenreise (customer journey) – von der ersten Information zu einem Weiterbildungsangebot über die Anmeldung, den ersten Kontakt mit Lernmaterialien, Fachexperten und Teilnehmenden bis hin zu Leistungsnachweisen und dem Erhalt des Teilnahmezertifikats. Fragen zur Gestaltung dieser Erlebnispunkte und der Kundenreise insgesamt hätten aus meiner Sicht stärker betont werden können.
Die insgesamt acht Vorträge bzw. Panel-Diskussionen, die an diesen beiden Tagen letzte Woche liefen, behandelten verschiedene Aspekte:
- Was L&D Profis von Marketing-Profis lernen können / Marketing-Kompetenzen für L&D Profis (Mike Taylor, Ning Zhang und Judy Albers)
- Entwicklung einer Content-Strategie für Lerninhalte (Bianca Baumann)
- Einbindung von “Influencern” im Rahmen von Social Media Marketing (David Kelly)
- Entwicklung und Umsetzung von Produkt-Kampagnen (Davis Swaddle)
- Attraktive Gestaltung von Video-Inhalten (Danielle Wallace)
Die Präsentationen und die Folensätze dazu sind für Mitglieder der eLearning Guild auch im Nachgang zu den Veranstaltungen verfügbar.
Also, was können wir als L&D Profis von Marketing-Profis lernen? Die Botschaften sind zum Teil sehr plakativ, aber das ist ja Teil dessen, was hier als Programm vorgeschlagen wird: fokussieren, vereinfachen (bis hin zum Überspitzen), bildlich darstellen.
1) Lernaktivitäten als Kundenreise verstehen
- Die Kundenreise genauer kennen, analysieren und gestalten. Was erleben die Lernenden / Kursteilnehmenden? Vor dem Eintritt in ein Programm? Während eines Programms?
Darstellung einer Kundenreise (Quelle: J. Albers, 2017)
Zum Thema “Kundenreise” hier ein vertiefender Artikel (allerdings nicht aus dem Feld L&D).
2) Emotionen ansprechen
Die meisten Entscheidungen werden nicht nach rationalem Abwägen getroffen, sondern aufgrund von Emotionen (die gegebenenfalls nachträglich rationalisiert werden). Daraus folgt:
- Weniger Gewicht auf Argumentation und logisches Denken, mehr Raum für Emotionen – bei der Darstellung von Lernangeboten ebenso wie bei der Aufbereitung von Lerninhalten
3) Fokus, Fokus, Fokus
Ganz gleich, um welches (Bildungs-)Produkt bzw. welche (Bildungs-)Dienstleistung es geht, wichtig ist:
- Reduzieren, fokussieren, vereinfachen
– Was nutzt es mir?
– Macht es Spass?
– Was sind die Konsequenzen wenn ich (nicht) teilnehme / das (nicht) bearbeite?
4) Kommunikationsplan
Es ist hilfreich, planvoll zu kommunizieren. Hier hilft ein Kommunikationsplan.
- Was ist die zentrale Aussage?
- Welche Medien sollen zur Kommunikation des Angebots eingesetzt werden?
- Wer macht was bzw. welches Budget braucht es dafür?
- Erfolg der Kommunikation ständig überprüfen.
5) Lesen: Buuh! Bilder: Jaah!
- Viele Menschen lesen nicht gerne, sondern überfliegen Texte. Das typische Blickmuster beim Überfliegen von Texten wird als F-Muster bezeichnet. Darauf müssen wir uns einstellen.
- Weniger Text, mehr Grafik, Video und Animation
- Wenn Text eingesetzt wird, dann so schreiben, dass die Lernenden / Kursteilnehmenden auch Lust haben, das zu lesen. Wichtig sind z.B. kurze, interessante Überschriften.
- Wenn Bilder bzw. Visualisierungen eingesetzt werden, dann solche, die authentisch wirken / bei den Teilnehmenden gewünschte Resonanzen auslösen; keine gekünstelten Stock-Fotos (Negativ-Beispiele hier). Nützliche, einfache Werkzeuge für das Erstellen von solchen Visualisierungen sind beispielsweise Canva oder Spark.
- Wenn Videos eingesetzt werden, dann nicht immer ‘talking head video’, sondern andere, interessante Formate nutzen (einige Beispiele dazu hier).
- Lernvideos sind dann effektiv, wenn sie
- gut fokussiert sind,
- emotional ansprechen und die Zielgruppe für die Lernintervention öffnen,
- für die Zielgruppe inhaltlich relevant sind und
- sich von anderen Videos abheben / erinnerungswürdig sind.
- Darüber hinaus funktionieren Lernvideos dann gut, wenn sie die zentrale Botschaft in dramatischer Form darstellen und gut visualisieren.
6) Der erste Eindruck ist entscheidend
- Es empfiehlt sich, Bildungsprodukte bzw. Dienstleistungen entsprechend sorgfältig daraufhin zu gestalten.
Quelle: M. Taylor, 2017
7) Mit Metaphern und Geschichten arbeiten
- Wenn mit Metaphern gearbeitet wird, dann Metaphern wählen, die gut an Erfahrungen / Emotionen / Erlebniswelten der Zielgruppe anschliessen.
- Geschichten erzählen und Informationen bzw. Lerninhalte mit dieser Geschichte verknüpfen.
8) Die Zielgruppen gut kennen und verstehen
Nicht nur im Hinblick auf ihr Vorwissen; auch im Hinblick auf ihre Lebens- und Arbeitswelt. Zum einen, um für sie passende Lernprodukte und Lerndienstleistungen entwickeln / anbieten zu können. Zum anderen, um die Kommunikation mit ihnen passend zu gestalten (Geschichten, Metaphern, Bilder, Überraschungsmomente, etc.)
- Marktforschung betreiben, Kontakt zu Zielgruppen pflegen, etc.
- Das Wissen über die Zielgruppe in Personas verdichten, diese visualisieren und zur Grundlage allen Handelns machen.
9) Beeinflusser statt Promotoren
Die Art und Weise, wie (Kauf-)Entscheidungen getroffen werden, hat sich geändert. Informationen aus sozialen Netzwerken und insbesondere Empfehlungen von anderen Kunden bzw. Teilnehmenden spielen eine zunehmend wichtige Rolle.
- Das Einbinden von Promotoren (z.B. von übergeordneten Leitungsebenen) ist ein etablierter Weg, um Aufmerksamkeit und Akzeptanz für ein internes Bildungsprogramme zu erlangen. Künftig wird das Einbinden von Beeinflussern (aus sozialen Medien) wichtiger.
- Die Bedeutung potenzieller Beeinflusser bemisst sich weniger an der Grösse ihrer sozialen Netzwerke (z.B. Anzahl Follower). Wichtiger ist ihre Fähigkeit, Interaktionen mit der Zielgruppen auszulösen.
- Beeinflusser brauchen keine Skripte von L&D, um Bildungsprodukte zu kommunizieren. Sie müssen die Produkte / Dienstleistungen verstehen und dann in ihre eigene Geschichte bzw. Sprache einpassen.
- Die Wirksamkeit der Einbindung von Beeinflussern zur Kommunikation eines Bildungsprogramms oder Angebotsportfolios kann beobachtet und überprüft werden. Wichtige Kenngrössen hierzu sind Follower, Klicks und Aktivitäten der Follower (Posts / Beiträge).
- Das Arbeiten mit Beeinflussern ist – anders als die Einbindung von Programm-Sponsoren aus dem Management – kein Sprint, sondern ein Marathon.
10) Wirkung permanent überprüfen
Wir sollten unsere Produkte bzw. Dienstleistungen und unsere Kommunikationen permanent überprüfen und – falls erforderlich – anpassen.
- Mit Tests zu Benutzerfreundlichkeit früh beginnen.
- Daten systematisch auswerten und Anpassungen vornehmen.
11) Inhalte-Strategie
Wir brauchen nicht nur (Lern-)Inhalte. Wir brauchen auch ein (Lern-)Inhalte-Inventar und einen Plan dazu, was wann wie eingesetzt wird.
- Welche Inhalte braucht es wann?
- Was muss erstellt, was kann von anderen übernommen, was kann kuratiert, was muss eingekauft werden?
Erfahrungswerte zeigen, dass ca. 1/3 aller Lerninhalte über Syndikation bzw. Kuratieren bereitgestellt werden kann. - Wie wird die Intensität der Nutzung dieser Inhalte überprüft? Hier spielen neue Technologien bzw. Standards wie xAPI eine wichtige Rolle.
- In welchen Intervallen und wie bzw. von wem werden diese Inhalte gepflegt?
- Wann / auf Basis welcher Kriterien werden sie ausgemustert oder gelöscht?
12) In Kampagnen denken
Unternehmen und Organisationen, welche in grösseren Abständen wichtige neue Produkte oder Dienstleistungen lancieren, sollten nicht in Kursen, sondern in Trainingskampagnen denken. Solche Kampagnen ziehen sich über einen längeren Zeitraum hin und integrieren unterschiedliche Lernmodalitäten, Lernaktivitäten und Lernmedien.
- Es ist wichtig, solche (Bildungs-)Kampagnen an klar formulierten, übergeordneten Geschäftszielen auszurichten.
- Es ist sinnvoll, für die Zielgruppen, die im Rahmen einer solchen Kampagne erreicht werden sollen, Personas zu entwickeln (vgl. oben). Die Elemente der Kampagne sind dann so zu gestalten, dass sie für diese Personas gut passen.
- Im Verlauf einer solchen Kampagne ist es ebenfalls wichtig, diese permanent zu beobachten und gegebenenfalls steuernd einzugreifen.